War das nötig?
Vergangene Woche haben sich die Außenminister der Europäischen Union im französischen Brest getroffen. Einig waren sie sich, künftig zusammenzustehen, wenn einem einzelnen Land der Union wirtschaftliche Sanktionen drohen. Als nicht hinzunehmender „Angriff auf den Binnenmarkt“ werde das verstanden.
Litauen geht eigenen Weg
Die gute Nachricht ist, dass die EU-Länder in essenziellen Fragen künftig mit einer Stimme reden wollen. Oft genug war das in der Vergangenheit nicht der Fall. Wirtschaftliche Stärke setzt eben voraus, dass nicht jedes Mitgliedsland den eigenen Interessen folgend in die eigene Richtung zieht.
Genau das aber hat Litauen getan. Wie sich inzwischen zeigt, gab es handfeste finanzielle und wirtschaftliche Anreize, sich auf diesen Pfad zu begeben und die Regierenden in Taipei einzuladen, in der litauischen Hauptstadt eine Vertretung unter dem Namen Taiwan zu eröffnen.
Um es ins Tierreich zu übertragen: Eine Ameise versucht einen Löwen zu provozieren … und wundert sich, dass der Löwe nicht nur brüllt, sondern auch handelt.
Nun ist es in der EU durchaus üblich, Länder zu „maßregeln“, die sich nicht an den gemeinsamen demokratischen Grundwerten orientieren. Warum gilt dieses Prinzip eigentlich nicht, wenn ein Mitgliedsland bewusst gegen einen seit Jahrzehnten bestehenden außenpolitischen Konsens verstößt. Denn es ist ja bei Weitem nicht so, dass Ländern dieser Welt wirtschaftliche und kulturelle Kontakte zu Taiwan nicht möglich sind. Dasselbe gilt für gegenseitig einzurichtende Repräsentanzen.
Wer am Ein-China-Prinzip rüttelt, überschreitet rote Linien
Der Name macht‘s. Wäre Litauen der üblichen Praxis gefolgt und hätte Taiwan in Vilnius wie in vielen anderen europäischen Hauptstädten und Wirtschaftsmetropolen eine „Taipei-Vertretung“ eröffnet – nicht einmal eine Schlagzeile wäre das Wert, geschweige denn Reaktionen aus Peking, die inzwischen Lieferketten von Unternehmen der europäischen Partner gefährden. Deutscher Automobilzulieferer beispielsweise. Jedem verantwortungsvoll handelnden Akteur, auch denen in Litauen, dürfte mehr denn bewusst sein, wer am Ein-China-Prinzip rüttelt, überschreitet rote Linien. Akzeptiert wird das in China nicht.
Dass China aus europäischer Sicht „überreagiert“ – geschenkt. Europäer, die Strafen in Form von Sanktionen ebenso nicht mit Samtpfötchen austeilen, sollten sich nicht wundern, wenn andere Länder ebenso zu Maßnahmen greifen, die wehtun. Die Musik spielt längst nicht mehr nur in den großen europäischen Ländern.
Litauen hat entgegen dem europäischen Credo des Zusammenhalts den Europäern die Suppe eingebrockt. Die Europäer müssen sie nun auslöffeln. Eine zugegeben recht bittere Suppe. Notwendig war diese Provokation jedenfalls nicht.
Peter Tichauer
Peter Tichauer ist ein ausgewiesener China-Experte. Nachdem er mehr als 20 Jahre das Wirtschaftsmagazin ChinaContact aufgebaut und als Chefredakteur geleitet hat, ist er seit 2018 im Deutsch-Chinesischen Ökopark Qingdao (www.sgep-qd.de) für die Kommunikation mit Deutschland verantwortlich.