Das Gesellschaftsgesetz der Volkrepublik China (VR China) wurde in den letzten Jahren mehrmals geändert. Nun ist es einer umfassenden Reform unterzogen worden: Am 24. Dezember 2021 wurde der Entwurf zur Änderung des Gesellschaftsgesetzes der VR China (der „Änderungsentwurf“) zur öffentlichen Konsultation freigegeben. Der Entwurf enthält etwa 70 Änderungen und besteht aus 15 Kapiteln und 260 Artikeln. Die anstehenden Änderungen des chinesischen Gesellschaftsrechts bergen für Unternehmen und Investoren bedeutende Konsequenzen, die sie kennen sollten. VON DR. SHEN YUAN und DR. MADELEINE MARTINEK
Erleichterungen bei Gründung aber auch bei Liquidation
Der Änderungsentwurf verfolgt mit einem ganzen Kapitel über die „Unternehmensregistrierung“ das Ziel, den Registrierungsprozess zu optimieren. Festgelegt sind hier die Verfahren für die Registrierung der Unternehmensgründung aber auch von Änderungen und Löschungen. Auch den Entwicklungen und Herausforderungen der Digitalisierung wird Rechnung getragen. So werden elektronische Geschäftslizenzen eingeführt und man kann nun Bekanntmachungen über das einheitliche System zur Publizität von Unternehmensinformationen und der Stimmrechtsausübung über elektronische Kommunikationswege veröffentlichen.
Neben der Gründung einer Ein-Personen-GmbH sieht der Änderungsentwurf nun auch die Möglichkeit der Gründung einer Ein-Personen-AG vor. Damit wird auch sog. kleinen AGs die Option bereitet, später einmal an die Börse zu gehen. Die AG kann dabei sowohl von einer natürlichen als auch von einer juristischen Person gegründet werden. Zum Vergleich: In Deutschland sind bei AGs Einpersonen-Gründungen bereits seit der 1994 in Kraft getretenen Aktiengesetznovelle zulässig.
Auch das Thema Sacheinlage wurde verbessert. Einlagefähig sind nun – wie im deutschen GmbH-Recht – Anteilsrechte, aber auch Forderungen gegenüber Dritten und gegenüber der Gesellschaft selbst. Um als taugliche Sacheinlage zu gelten, muss der eingebrachte Vermögenswert bewertbar sein. Wie Anteils- und Gläubigerrechte bewertet werden, insbesondere die Frage, ob Geldforderungen zu bewerten sind (z.B. durch einen Werthaltigkeitsbericht), wird allerdings noch durch konkretisierende Rechts- oder Verwaltungsvorschriften geklärt werden müssen.
Größere Flexibilität in der Unternehmensorganisation
Der Änderungsentwurf gibt den Unternehmen mehr Freiheiten bei der Festlegung ihrer Organisationsstruktur, hebt die Stellung des Board of Directors (Board oder Vorstand) in der Unternehmensführung hervor und stellt klar, dass das Board das Exekutivorgan des Unternehmens ist. Nach dem geltenden Gesellschaftsrecht besteht die Hauptorganstruktur eines Unternehmens aus der Gesellschafterversammlung, dem Board of Directors bzw. Executive Directors und dem Aufsichtsrat (Supervisory Board) bzw. Aufsichtspersonen (Supervisors). Die Unternehmensführung ist im Sinne eines dualistischen Systems auf die zwei selbständigen Organe Vorstand und Aufsichtsrat aufgeteilt. Nach dem Änderungsentwurf können sich sowohl GmbHs als auch AGs nun für ein einstufiges Governance-Modell entscheiden, das nur aus dem Organ des Board besteht und kein Supervisory Board bzw. keinen Supervisor benötigt. Im Fall einer solchen monistischen Struktur muss die Gesellschaft im Board allerdings einen Prüfungsausschuss einrichten, der für die Überwachung des Finanz- und Rechnungswesens der Gesellschaft zuständig ist: Die Satzung kann dem Prüfungsausschuss zudem weitere Befugnisse und Aufgaben einräumen. Der Prüfungsausschuss einer AG muss sich dabei aus mehr als der Hälfte der nicht geschäftsführenden Vorstandsmitglieder zusammensetzen. Klärungsbedürftig bleibt, ob der Prüfungsausschuss als Sonderausschuss unter dem Board wirklich in der Lage ist, alle Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrates oder Supervisor zu übernehmen und seine Unabhängigkeit bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben zu gewährleisten.
Nach dem geltenden Gesellschaftsgesetz ist der Aufsichtsrat kein obligatorisches Organ einer GmbH, ein oder zwei Supervisors genügen. Der Änderungsentwurf erweitert diese Erleichterung auch auf kleine AGs. Unklar bleibt aber, ob kleinere Gesellschaften (ohne Board), die nur einen Director oder General Manager beschäftigen, ein einstufiges Governance-Modell ohne Aufsichtsrat oder Supervisor wählen können. Die Forderung nach einem Prüfungsausschuss im Board als alternatives Aufsichtsorgan im Änderungsentwurf legt nahe, dass dies nicht möglich sein sollte. Was den unbestimmten Begriff „kleine Gesellschaft“ betrifft, ist zu erwarten, dass er von der Registrierungsbehörde konkretisiert wird. Zu berücksichtigen werden dabei die wirtschaftliche Lage des Ortes der Gründung und die Merkmale der Gesellschaft selbst sein sowie die Pläne der Gesellschafter für die künftige Geschäftsentwicklung der Gesellschaft.
Bei der Organstruktur erzielt der Änderungsentwurf nun eine klare Straffung, indem sowohl GmbHs mit geringer Anzahl von Gesellschaftern (sog. kleine GmbHs) als auch AGs auf die Einrichtung eines Board verzichten können und nur einen einzelnen Executive Director bestellen können. Bei einer kleinen GmbH kann sogar statt eines Executive Director nur ein General Manager berufen werden, da in der Praxis in vielen kleineren GmbHs ein und dieselbe Person als Executive Director und als General Manager fungiert.
Änderungen nimmt der Entwurf auch beim Thema Arbeitnehmermitbestimmung vor: Nicht nur Staatsunternehmen, sondern auch Unternehmen mit mehr als 300 Beschäftigten müssen nun mindestens einen Arbeitnehmervertreter im Board haben. Dadurch wird die unmittelbare Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung gewährleistet. Genauere Regelungen zur Arbeitnehmermitbestimmung enthält der Entwurf aber nicht.
Stärkere Verantwortung der Gesellschafter bei Kapitaleinlagen
Nach geltendem Gesellschaftsrecht sind Investoren in der Höhe und Laufzeit der Leistung ihrer Kapitaleinlagen flexibel. Die Einzahlungsfrist kann jahrzehntelang dauern. Gesellschafter haben außerdem Anspruch auf Unternehmensanteile, selbst wenn sie ihre Einlage nicht geleistet haben. Dies führt häufig zu einem Missbrauch in der Praxis, der der Gesellschaft, den anderen Gesellschaftern und Gläubigern zum Nachteil gereicht. Zwar machen sich Gesellschafter mit nicht geleisteten Einlagen nach der geltenden Rechtslage schadensersatzpflichtig, es ist aber nicht geregelt, ob sie weiterhin ihre Gesellschaftereigenschaft beibehalten.
Der Änderungsentwurf schafft hier Klarheit: Die Gesellschaft und die Gläubiger haben das Recht, von den Gesellschaftern, die ihre Einlagen gezeichnet, aber nicht fristgemäß geleistet haben, eine Vorauszahlung zu verlangen, wenn die Gesellschaft nicht in der Lage ist, ihre Schulden bei Fälligkeit zu begleichen. Der säumige Gesellschafter, der seiner Einlageverpflichtung nicht fristgerecht nachkommt, verliert auch die entsprechende Beteiligung in Bezug auf den nicht eingezahlten Teil der Kapitaleinlage.
Vereinfachte Kapitalherabsetzung
Zur Beseitigung eines Verlusts einer Kapitalgesellschaft sieht der Änderungsentwurf eine vereinfachte Kapitalherabsetzung vor, ohne dass Auszahlungen an die Gesellschafter erfolgen müssen. Diese vereinfachte Kapitalherabsetzung ist nur zulässig, nachdem Rücklagen vorweg aufgelöst worden sind. Das Unternehmen muss hierbei nicht das übliche Kapitalherabsetzungsverfahren einhalten: Es ist somit nicht erforderlich, die Gläubiger innerhalb von zehn Tagen nach dem Gesellschafterbeschluss über die Kapitalherabsetzung zu informieren, ihnen auf Anforderung Sicherheiten zu leisten oder Schulden im Voraus zu begleichen. Erfolgen muss aber eine Ankündigung in einer einschlägigen Zeitung oder in dem offiziellen Unternehmensinformationssystem (National Enterprise Credit Information Publicity System). Das vereinfachte Kapitalherabsetzungsverfahren des Änderungsentwurfs ist an die vereinfachte Kapitalherabsetzung im deutschen GmbH-Gesetz angelehnt.
Anteilsübertragung an einen Nicht-Gesellschafter
Das geltende chinesische Gesellschaftsgesetz ist bisher bei der Übertragung von Geschäftsanteilen an einen Nicht-Gesellschafter insofern schwerfällig, als man dafür die Zustimmung von mehr als der Hälfte der anderen Gesellschafter benötigt. Zudem haben die anderen Gesellschafter auch nach Erteilung der Zustimmung ein Vorkaufsrecht. Der Änderungsentwurf streicht diese Voraussetzung der Einholung der Zustimmung vor der Anteilsübertragung, behält aber das Vorkaufsrecht der anderen Gesellschafter bei. Dadurch wird auch das Verfahren zur Ausübung des Vorkaufsrechts vereinfacht, was übrigens auch mit der derzeitigen Praxis bei Transaktionen im Einklang ist.
Sorgfalts- und Treuepflichten von Management und Mehrheitsgesellschaftern
Der Änderungsentwurf definiert erstmals die Treue- und Sorgfaltspflicht von Directors, Supervisors und leitenden Managern (Management). Das Management darf seine Befugnisse nicht zur Erlangung unzulässiger Vorteile ausnutzen, sondern hat seine Pflichten mit der vom Management zu erwartenden Sorgfalt zum Wohle des Unternehmens zu erfüllen. Das bedeutet im Einzelnen:
- Directors, Supervisors und leitende Manager machen sich schadensersatzpflichtig, wenn sie wissen oder wissen müssten, dass ein Gesellschafter mit der Einzahlung der Kapitaleinlage in Verzug ist oder dem Unternehmen Kapital entzogen hat, und sie nicht die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, sodass der Gesellschaft dadurch ein Schaden entsteht;
- Directors, Supervisors und leitende Manager haften auf Schadensersatz, wenn die Gesellschaft unter Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen Gewinne an die Gesellschafter ausschüttet oder rechtswidrige Kapitalherabsetzungen vornimmt und der Gesellschaft dadurch ein Schaden entsteht;
- Leisten Directors, Supervisors oder leitende Manager finanzielle Unterstützung beim Erwerb von Geschäftsanteilen durch Dritte unter Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen, so haften sie für den der Gesellschaft entstandenen Schaden.
Der Änderungsentwurf ergänzt außerdem eine Auffangklausel, wonach Directors und leitende Manager gesamtschuldnerisch mit der Gesellschaft haften, wenn sie in Ausübung ihrer Pflichten anderen vorsätzlich oder grob fahrlässig Schaden zufügen.
Adressiert ist im Änderungsentwurf auch das in der Praxis bekannte Problem, dass Mehrheitsgesellschafter und solche, die eine De-facto-Machtposition innehaben, ihren Einfluss missbrauchen, indem sie z.B. Directors und leitende Manager zur Vornahme schädigender Handlungen verleiten und dadurch die Rechte und Interessen der Gesellschaft und der Minderheitsgesellschafter verletzen. Festgelegt ist nun eine gesamtschuldnerische Haftung der Mehrheitsgesellschafter, der „De-facto-Kontrolleure“ sowie der Directors und leitenden Managern.
Fazit
Der Änderungsentwurf resultiert aus den Erfordernissen der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas. Er entspricht dem internationalen Standard und erleichtert ausländischen Unternehmen den Eintritt in den chinesischen Markt hinsichtlich Unternehmensgründung und bietet mehr Flexibilität bei der Gestaltung der Organisationsstruktur. Natürlich wird der Änderungsentwurf, der insbesondere die Verantwortung der Mehrheitsgesellschafter und des Managements stärkt, auch neue Herausforderungen bei der Unternehmensführung, der Risikokontrolle und der Compliance mit sich bringen. Man darf also gespannt sein, wie der Änderungsentwurf, der sich noch in der Konsultationsphase befindet, umgesetzt wird.
Yuan Shen
Dr. SHEN Yuan, LL.M. (CUPL/Köln) | ist als Anwältin in China zugelassen und seit 2010 im Kölner Büro der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft tätig. Als Counsel konzentriert sie sich in ihrer Beratungstätigkeit auf die Unterstützung deutscher und europäischer Mandanten in den Bereichen Unternehmensgründung, Joint Ventures sowie Arbeitsrecht in China. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Betreuung von chinesischen Unternehmen bei Investitionen in Europa (M&A, Arbeitsrecht, Greenfield Investment).
Dr. Madeleine Martinek
Dr. Madeleine Martinek, LL.M., LL.M. oec. (Nanjing) ist Associate im Luther Corporate/M&A Team und China Desk in Köln. Ihr Tätigkeitsbereich umfasst allgemeines Gesellschaftsrecht, Außenwirtschaftsrecht und M&A, insbesondere Projekte mit China-Bezug. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Universität Heidelberg. Nach dem ersten Staatsexamen absolvierte sie in Göttingen und Nanjing den LL.M.-Studiengang „Chinesisches Recht und Rechtsvergleichung“ und promovierte zum chinesischen Wirtschaftsrecht. Vor Eintritt in die Kanzlei war sie Leiterin der Rechtsabteilung der Auslandshandelskammer in Peking und Assistant Professor an der China-EU School of Law in Peking. Sie spricht Chinesisch (Mandarin) und veröffentlicht regelmäßig im chinesischen Recht und im internationalen Handels- und Schiedsverfahrensrecht.