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Die zunehmende Gesetzeskomplexität und regelmäßige Gesetzesänderungen in der Volksrepublik China („VR China“, „China“) stellen kleine und mittelständische Unternehmen („KMU“) in China und deren Muttergesellschaften im Ausland vermehrt vor Herausforderungen. Aber es existieren neue Lösungen, um einen aktuellen Überblick über die geltenden rechtlichen Anforderungen für deren geschäftliche Aktivitäten in China zu behalten, die Compliance des Tochterunternehmens sicherzustellen und somit unerwünschte Sanktionen zu vermeiden.
Die Anzahl der neu erlassenen und überarbeiteten Gesetze hat sich von 2013 bis 2021 versechsfacht (siehe dazu auch nachfolgende Abbildung).
Neben der Unternehmenshaftung, d.h. der Haftung juristischer Personen, gibt es im chinesischen Recht zahlreiche zivil-, verwaltungs- und strafrechtliche Compliance-Pflichten, bei deren Verletzung Führungskräfte, Direktoren, gesetzliche Vertreter und andere Verantwortliche für Gesetzesverstöße in Haftung genommen werden können.
Diese Haftungsgrundlagen finden sich in unterschiedlichen Gesetzen und Verwaltungsvorschriften, wie z.B. dem Exportkontrollgesetz der VR China vom 1. Dezember 2020, dem Gesetz der VR China über die Sicherheit am Arbeitsplatz vom 1. September 2021, dem im August 2022 novellierten Antimonopolgesetz der VR China oder den neuen Gesetzen im Bereich Datenschutz und Daten- und Cybersicherheit 2017 und 2021. Neben den mehr als 290 Gesetzen gelten Tausende von nationalen, regionalen und lokalen Verwaltungsvorschriften, aber auch zahlreiche freiwillige und zwingende Industriestandards, die bei der Analyse der Compliance-Anforderungen berücksichtigt werden müssen.
Dabei beschreibt der Begriff Compliance nicht nur die bloße Einhaltung von geltenden Gesetzen, Verwaltungsvorschriften, Industrienormen, freiwilligen Kodizes, unternehmensinternen Standards. Vielmehr umfasst er auch die Gesamtheit aller betrieblichen Maßnahmen zur Verhinderung, Aufdeckung und Behandlung von Rechtsverstößen genauso wie die Minimierung von Haftungsrisiken der Geschäftsführung und wirtschaftlichen Schäden des Unternehmens.
Compliance-Management-Systeme für KMU in China
Das chinesische Recht enthält keine explizite Pflicht für KMU zur Einführung eines Compliance-Management-Systems („CMS“). Jedoch sieht das chinesische Gesellschaftsrecht umfassende Sorgfaltspflichten für Direktoren vor, anhand derer sie die Compliance im Unternehmen sicherstellen und kontrollieren müssen. Um Compliance fortlaufend mit vertretbarem Aufwand sicherzustellen, ist ein CMS zu empfehlen.
Einige chinesische Gesetzte sehen schon jetzt vor, dass auch KMU zur Einführung eines CMS bzw. eines internen Kontrollsystems ermutigt werden sollen. Entsprechende Leitlinien wurden bereits erlassen, so z.B. die CMS-Leitlinien vom 2014, die Richtlinie für die interne Kontrolle von Kleinunternehmen vom 1. Januar 2018, aber auch die Leitlinie zur Einrichtung interner Ausfuhrkontrollmechanismen vom 28. April 2021 durch Unternehmen, welche sogenannte Dual-Use-Güter und Technologien exportieren.
Ein CMS basiert auf organisatorischen, technischen und anderen Maßnahmen („TOM“). Art und Umfang der Maßnahmen hängen von der Größe, Geschäftstätigkeit des Unternehmens und anderen Faktoren ab. Ein CMS umfasst beispielsweise die Formulierung von internen Verhaltenskodizes und Arbeitnehmerhandbüchern, Durchführung von Schulungen, Einsatz digitaler Softwarelösungen oder die Einführung von sogenannten Hinweisgebersystemen oder Whistleblower Hotlines.
Softwarelösungen und Hinweisgebersysteme als Compliance-Tools
Neue digitale Compliance-Lösungen für Unternehmen in China, einschließlich Rechtskataster und webbasierter Compliance-Management-Software, geben als Teil eines CMS den KMU eine praktische Abhilfe. Gleichzeitig liefern sie eine vollumfängliche Dokumentation und stetige Aktualisierung der einschlägigen Gesetze, Verwaltungsvorschriften und zwingenden Industriestandards.
Diese digitalen Compliance-Lösungen unterstützen die Geschäftsführung bei der Prüfung, Klassifizierung und Verzeichnung einschlägiger Rechtsvorschriften, der revisionssicheren Dokumentation und der transparenten Aufgabendelegation an zu benennende Mitarbeiter. So helfen sie der Geschäftsführung, den Überblick zu bewahren, und ermöglichen es, im Austausch mit Behörden compliancekonform auch ohne lange Vorbereitungszeiten zu handeln.
Neben bzw. als Teil eines CMS können Hinweisgebersysteme zur Vermeidung oder zumindest Reduzierung von direkten Meldungen von Gesetzesverstößen durch Whistleblower an Behörden beitragen. Das Durchstechen von Gesetzesverstößen durch Mitarbeiter, Wettbewerber oder Dritten an Behörden, ohne das betroffene Unternehmen vorab zu informieren, erhöht die Haftungsrisiken nicht nur für das Unternehmen selbst, sondern auch für die Geschäftsführung.
Mithilfe eines bekannten und einfach zu bedienenden Hinweisgebersystems können Kontrollmängel und Missstände im Unternehmen frühzeitig durch Mitarbeiter, Zulieferer, Kunden, aber auch Dritte aufgedeckt werden. Die Hinweise geben der Geschäftsführung die erforderliche Zeit und Gelegenheit, Abhilfemaßnahmen zu ergreifen und sich auf eventuelle behördliche Kontrollen vorzubereiten, um Reputations- und finanzielle Schäden zu vermeiden.
Als eine effiziente Lösung für KMU in China hat sich die Einführung eines elektronischen Hinweisgebersystems in Kombination mit einem lokalen Ombudsanwalt bewährt. Lokale Ombudsanwälte können durch das elektronische Hinweisgebersystem erhaltene Hinweise nicht nur entgegennehmen, sondern sie vor allem auch auf rechtliche Relevanz prüfen. Sie können mit dem Hinweisgeber in Mandarin und unter Beachtung lokaler und kultureller Besonderheiten kommunizieren sowie eine Sachverhaltsaufklärung durchführen.
Die Effektivität eines CMS hängt entscheidend vom Compliance- und Verantwortungsbewusstsein der Geschäftsführung ab. Für ausländische Investoren ist es oft eine große Herausforderung, das erforderliche Bewusstsein bei der Geschäftsführung und den Mitarbeitern des Tochterunternehmens in China zu schaffen. Hier helfen interne Schulungen und Workshops, im Rahmen derer die Mitarbeiter und ggf. auch Zulieferer durch die Geschäftsführung („Tone from the Top“) mit den einzuhaltenden Regelungen, nicht tolerierten Verhaltensweisen und Meldepflichten vertraut gemacht werden. Um die gewünschten Effekte zu erzielen, sollte man die konkreten internen Regelungen vorab durch die Geschäftsführung – ggf. mit Unterstützung eines Compliance-Experten – festlegen und erst dann mittels zielgruppengerechter Schulungen durch Experten im betroffenen Bereich wirksam kommunizieren.
FAZIT
Die Einführung eines CMS und das rechtzeitige Entdecken von Verstößen oder die nachweisbare Adressierung der Missstände innerhalb des Unternehmens verbessern regelmäßig das Rating des Unternehmens bei Kunden, verschaffen einen Vorsprung gegenüber den Mitbewerbern, werden bei der Bemessung der Sanktionen von den Behörden berücksichtigt und führen schließlich zu milderen Sanktionen.
Rainer Burkardt
Rainer Burkardt ist Gründer und Geschäftsführer der chinesischen Anwaltskanzlei Burkardt & Partner in Shanghai, welche im kanzleimonitor unter die Top-5 der Rechtsanwaltskanzleien in China gewählt wurde. Seit 2009 ist Herr Rainer Burkardt Vertrauensanwalt des österreichischen Generalkonsulats in Shanghai und seit 2013 Schiedsrichter der Shanghai International Economic and Trade Arbitration Commission (SHIAC). Sein Fokus liegt auf der Beratung von deutschen, Schweizer und österreichischen Unternehmen bei deren Investitionen in China.
Ondrej Zapletal
Ondřej Zapletal ist Rechtsberater bei Burkardt & Partner in Shanghai. Er hat an der Shanghaier East China University of Political Science and Law chinesisches Bürger- und Handelsrecht studiert und berät ausländischen Unternehmen bei deren Investitionen und Geschäften in der VR China. Bei Fragen zu Compliance Management Systemen, Hinweisgebersystemen oder Ombudsanwälten stehen Ihnen die Autoren gerne zur Verfügung.
Dieser Post ist auch verfügbar auf: Vereinfachtes Chinesisch