Das chinesische Schiedsgesetz auf dem Prüfstand

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Bild: Adobe Stock; © Valerii Evlakhov

Schiedsverfahren sind gerade bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten mit Bezug auf die Volksrepublik China (VR China) oftmals die einzig realistische Option, Forderungen und Ansprüche gegen chinesische Parteien durchzusetzen. Das geltende chinesische Schiedsgesetz aus dem Jahr 1994 spielt daher auch für deutsche Parteien eine große Rolle. Es wurde in den letzten 26 Jahren seiner Geltung nur zwei Mal marginal angepasst. Nun soll es eine umfassende Änderung erfahren. Von Katharina Klenk-Wernitzki, Dipl.-Reg.-Wiss. und Dr. Madeleine Martinek, LL.M., LL.M. oec. (Nanjing)

Die chinesische Regierung hat am 30.07.2021 Vorschläge zur Überarbeitung des Schiedsgesetzes zur öffentlichen Konsultation freigegeben. Mit den geplanten Änderungen soll insbesondere ein Defizit zeitnah behoben werden. Denn bislang basiert das chinesische Schiedsgesetz nicht auf dem in vielen Rechtsordnungen üblichen UNCITRAL-Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (UNCITRAL-Modellgesetz) und enthält folglich Bestimmungen, die nicht im Einklang mit den Standards der internationalen Schiedspraxis stehen. Die wichtigsten Änderungen im Überblick:

Öffnung für ausländische Schiedsinstitutionen und Ad-hoc-Schiedsverfahren

In Bezug auf die Wahl der Schiedsinstitution sah das Schiedsgesetz bislang zwingend vor, dass die Parteien eine konkrete Schiedsinstitution benennen müssen. Wurde die Schiedsinstitution nicht hinreichend klar benannt, führte das in vielen Fällen zur Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung.

Bislang ebenfalls unzulässig waren Ad-hoc-Schiedsverfahren, d.h. Schiedsverfahren, die ohne Unterstützung einer chinesischen Institution stattfinden. Ausländische Institutionen durften bisher keine Schiedsverfahren mit Schiedsort in China administrieren.

All diese Regeln gelten bisher für „innerchinesische“ Streitigkeiten ohne Auslandsbezug. Somit gelten sie auch bei Streitigkeiten zwischen in China gegründeten Tochterunternehmen (meist deutsch-chinesische Joint Ventures) und deren chinesischen Geschäftspartnern.

Durch den neuen Entwurf von 2021 wird der Anwendungsbereich des Schiedsgesetzes nun erweitert. Daraus resultieren unter anderem folgende Neuerungen:

  • Die ausdrückliche Bezeichnung der gewählten Schiedsinstitution ist für die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung nicht länger erforderlich.
  • Der Entwurf ermöglicht explizit Ad-hoc-Schiedsverfahren bei handelsrechtlichen Streitigkeiten mit Auslandsbezug.
  • Ausländischen Schiedsinstitutionen ist es nun ausdrücklich gestattet, in der VR China eine Niederlassung zu gründen, um bestimmte Schiedsfälle (internationale Handels-, Zivil-, See- und Investmentstreitigkeiten) zu administrieren.
  • Gleichzeitig soll es ausländischen Schiedsinstitutionen nun gestattet werden, sich bei der Justizverwaltung auf Provinzebene registrieren zu lassen. Damit können ausländisch investierte Unternehmen künftig in Verträgen mit chinesischen Vertragspartnern auch eine Streitbeilegung durch eine nicht-chinesische Schiedsinstitution vereinbaren.

Schiedsort wird ausschlaggebend

In den meisten Ländern können die Parteien gemäß dem jeweiligen nationalen Schiedsgesetz den Schiedsort frei wählen, also unabhängig davon, wo die Schiedsinstitution ihren Sitz hat.  Der gewählte Schiedsort entscheidet über das anwendbare Recht und über die Zuständigkeit staatlicher Gerichte und legt damit den Rechtsrahmen für die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs fest. Der Schiedsort bestimmt somit die sogenannte „Nationalität eines Schiedsspruchs“

Dieser im UNCITRAL-Modellgesetz verankerte Grundsatz wurde in die Schiedsgesetze der meisten Nationen übernommen. In China gilt er bislang nicht. Hier richtet sich die Nationalität eines Schiedsspruchs ausschließlich nach dem Sitz der Schiedsinstitution. Ein Schiedsspruch, der in einem von einer ausländischen Schiedsinstitution verwalteten Schiedsverfahren mit Schiedsort in der VR China erlassen wurde, wird als ausländischer Schiedsspruch (foreign award) qualifiziert – der Schiedsort findet keinerlei Berücksichtigung.

Dem in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit weit verbreiteten Territorialitätsgrundsatz öffnet sich China nun aber mit dem Entwurf seines neuen Schiedsgesetzes. Demnach gilt künftig ein Schiedsspruch als am Schiedsort ergangen und die Konfliktparteien können den Schiedsort in der Schiedsvereinbarung selbst festlegen. Somit ist der Sitz der Schiedsinstitution auch für China künftig nicht mehr ausschlaggebend für die Nationalität eines Schiedsspruchs. Nur, wenn in der Schiedsklausel kein Schiedsort vereinbart wurde, tritt der Sitz der Schiedsinstitution an die Stelle des Schiedsortes.

Mehr Kompetenzen für Schiedsgerichte

Eine weitere Änderung ist die Aufnahme des Grundsatzes der sogenannten „Kompetenz-Kompetenz“ für in der VR China verwaltete Schiedsverfahren.

Nach diesem in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit etablierten Prinzip kann ein Schiedsgericht über seine eigene Zuständigkeit entscheiden. Dadurch soll die staatliche Einmischung begrenzt und gleichzeitig die Effizienz des Verfahrens erhöht werden. Der Gedanke der Kompetenz-Kompetenz wird im derzeitigen Schiedsgesetz der VR China nicht anerkannt.

Im neuen Entwurf findet der Grundsatz der Kompetenz-Kompetenz nun zumindest teilweise Berücksichtigung: Demnach soll das Schiedsgericht zumindest bei Einwänden gegen seine Zuständigkeit selbst entscheiden können . Allerdings kann die Entscheidung des Schiedsgerichts vor dem staatlichen Gericht überprüft und wieder vollständig zurückgenommen werden. Dies gilt selbst für den Fall, dass sich das Schiedsgericht für unzuständig hält. Darüber hinaus sollen nach dem neuen Gesetzesentwurf künftig auch Schiedsgerichte – und nicht nur staatliche Gerichte – einstweilige Maßnahmen treffen können.

Weitere Änderungen

Neben Änderungen des Rechtsrahmens in Bezug auf die Schiedsgerichtsbarkeit gibt es weitere Neuerungen im Gesetzesentwurf . So wurde der Begriff „gleichberechtigte Parteien“ durch „natürliche Personen, juristische Personen und andere Organisationen“ ersetzt. Dies soll Schiedsverfahren in der VR China zwischen Investoren und dem chinesischen Staat ermöglichen.

Der Entwurf sieht auch Änderungen in Bezug auf die Schiedsrichterbenennung vor. Er stellt klar, dass die Schiedsrichterliste lediglich Empfehlungscharakter hat. Parteien können somit künftig auch Schiedsrichter wählen, die nicht auf den Schiedsrichterlisten der jeweiligen Institution stehen.

Außerdem wird das Schiedsrecht an die zunehmende Digitalisierung der chinesischen Gesellschaft angepasst. Dementsprechend sind nun auch elektronische Methoden für die Übermittlung von Dokumenten und die Durchführung des Verfahrens zulässig.

Fazit

Der Entwurf für eine Reform des Schiedsgesetzes vom 30.07.2021 enthält weitreichende Änderungen des chinesischen Schiedsrechts. Er gleicht das chinesische Schiedsgesetz an international übliche Best Practices der Handelsschiedsgerichtsbarkeit an. Ob die Änderungen in der Praxis umgesetzt werden und ob ausländische Parteien künftig tatsächlich häufiger die VR China als Schiedsort für Rechtsstreitigkeiten wählen, bleibt jedoch abzuwarten.

 

Dieser Artikel basiert auf dem von den o.g. Autorinnen verfassten Beitrag „Anstehende Änderungen des chinesischen Schiedsrechts – Angleichung an die international üblichen best practices“ erschienen am 23. März 2022 im Deutschen Anwaltsspiegel – Dispute Resolution.

 

Katharina Klenk-Wernitzki

Katharina Klenk-Wernitzki, Dipl. Reg.-Wiss ist Senior Associate im Luther Complex Disputes Team und China Desk in Köln. Sie absolvierte ein Doppelstudium der Rechtswissenschaften und Regionalstudien Ostasien/China in Köln und Peking. Vor ihrer Tätigkeit im Complex Disputes Team bei Luther arbeitete Katharina Klenk-Wernitzki u. a. als Dozentin an der Da-Yeh Universität in Taiwan und als stellvertretende Geschäftsführerin der Deutsch-Chinesischen Wirtschaftsvereinigung. Sie spricht Chinesisch (Mandarin) und verfügt über umfangreiche Erfahrung in komplexen, internationalen Streitigkeiten sowohl im Bereich Litigation als auch Arbitration, auch im Deutsch-Chinesischen Kontext.

Dr. Madeleine Martinek

Dr. Madeleine Martinek, LL.M., LL.M. oec. (Nanjing) ist Associate im Luther Corporate/M&A Team und China Desk in Köln. Ihr Tätigkeitsbereich umfasst allgemeines Gesellschaftsrecht, Außenwirtschaftsrecht und M&A, insbesondere Projekte mit China-Bezug. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Universität Heidelberg. Nach dem ersten Staatsexamen absolvierte sie in Göttingen und Nanjing den LL.M.-Studiengang „Chinesisches Recht und Rechtsvergleichung“ und promovierte zum chinesischen Wirtschaftsrecht. Vor Eintritt in die Kanzlei war sie Leiterin der Rechtsabteilung der Auslandshandelskammer in Peking und Assistant Professor an der China-EU School of Law in Peking. Sie spricht Chinesisch (Mandarin) und veröffentlicht regelmäßig im chinesischen Recht und im internationalen Handels- und Schiedsverfahrensrecht.

Dieser Post ist auch verfügbar auf: Vereinfachtes Chinesisch