Aus E-Mag M&A China/Deutschland 2013
Der chinesische Staat als gemeinsam handelnde Person
Die sehr umfassende Definition der „gemeinsam handelnden Personen“ im deutschen Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) bringt chinesische Staatsunternehmen, die als Bieter ein öffentliches Angebot an die Aktionäre einer deutschen Aktiengesellschaft abgeben möchten, an die Grenzen des Machbaren.
Offenlegungspflichten nach dem WpÜG
Wer in Deutschland mehr als 30% der Stimmrechte an einer börsennotierten Gesellschaft erworben hat oder erwerben möchte, ist verpflichtet, ein öffentliches Angebot abzugeben. Neben zahlreichen Informationen zur Bieter- und zur Zielgesellschaft sind in der Angebotsunterlage auch Name und Sitz aller mit dem Bieter gemeinsam handelnden Personen offenzulegen. Als gemeinsam handelnd gelten natürliche und juristische Personen, die ihr Verhalten mit dem Bieter abstimmen sowie Tochterunternehmen untereinander (§§ 2 Abs. 5 und 6 WpÜG, § 290 HGB). § 290 HGB enthält die unwiderlegliche Vermutung, dass ein Tochterunternehmen u.a. dann vorliegt, wenn diesem an einem anderen Unternehmen die Mehrheit der Stimmrechte (d.h. in der Regel der Anteile) zusteht.
Die Offenlegung soll verhindern, dass der Bieter sein Verhalten mit gemeinsam handelnden Personen abstimmt und so Schutzvorschriften z.B. zum Mindestangebotspreis zulasten der Aktionäre der Zielgesellschaft umgeht. Zur Ermittlung des Mindestangebotspreises sind z.B. auch Aktienkäufe von gemeinsam handelnden Personen in einem bestimmten Vorerwerbszeitraum zu berücksichtigen.
Der chinesische Staat als gemeinsam handelnde Person
Nach der chinesischen Verfassung stehen Industrial Enterprises Owned by the Whole People (IEOWP) im Eigentum des gesamten chinesischen Volkes und unterliegen staatlicher Aufsicht. Über 100 große Staatskonzerne werden von der State-owned Assets Supervision and Administration Commission (SASAC) beaufsichtigt. Weitere Unternehmen stehen unter der Aufsicht der lokalen Regierungen. Die SASAC ist eine spezielle Kommission des State Council, also der Regierung. Sie hat die Eigentümerstellung an den Staatskonzernen inne, die streng vom Management und der Geschäftsführung der Gesellschaften getrennt ist. Die Staatsunternehmen genießen unternehmerische Autonomie im Rahmen gesetzlicher Rahmenbedingungen. Die SASAC ist verpflichtet, deren unternehmerische Unabhängigkeit zu unterstützen und sich nicht in das operative Geschäft einzumischen. Dem Staat kommt lediglich die Rolle des Anteilseigners bzw. Investors zu.
Damit wird das Dilemma deutlich: Nach den entscheidenden Regelungen von WpÜG und HGB sind alle Unternehmen, an denen der chinesische Staat – direkt oder indirekt – beteiligt ist, gemeinsam handelnde Personen. Obwohl sich die Staatsunternehmen nicht untereinander abstimmen und anders als Konzernunternehmen keinen zentralen operativen Leitlinien unterliegen, werden sie wie Konzernunternehmen behandelt mit dem chinesischen Staat als „Konzernobergesellschaft“.
Gemäß den Veröffentlichungspflichten des WpÜG muss eine Bietergesellschaft, an der der chinesische Staat direkt oder indirekt mehrheitlich beteiligt ist, in seiner Angebotsunterlage sämtliche chinesischen Staatsbeteiligungen als gemeinsam handelnde Personen offenlegen. Nach dem „Chinese Statistical Yearbook“ waren dies im Jahr 2011 über 400.000 Unternehmen. Eine Auflistung dieser Unternehmen mit einer Übersetzung von Firmenname und Sitz würde in lesbarer Form etwa 4.000 Seiten (!) umfassen.
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