Der ‚Instrumentenkasten‘ aus Berlin

Blick aus Qingdao - von Peter Tichauer

Deutschland China CAI

Das mehr als 60 Seiten starke Dokument ‚China-Strategie‘ soll offenbar als Instrumentenkasten verstanden werden – um auf aktuelle Entwicklungen schneller reagieren zu können.

Nun ist die Katze aus dem Sack. Am gestrigen Donnerstag hat Bundesaußenministerin Annalena Baerbock im ‚wichtigsten Forschungsinstitut‘ zu China, Merics, die am Vormittag im Bundeskabinett beschlossene ‚China-Strategie‘ präsentiert. Ein Herzensanliegen der Ministerin, wie es scheint, das schon vor Monaten angekündigt wurde, nun, kurz vor der parlamentarischen Sommerpause auf dem Tisch liegt und im Herbst von den Parlamentariern im Bundestag beraten werden soll. Denn Deutschland sei ja glücklicherweise eine Demokratie, in der die Regierung nicht wie in anderen Ländern Direktiven verabschieden könne, die umzusetzen seien.

Der Hieb hat gesessen.

Deutschland werde sich nicht von China abkoppeln, sagte die Ministerin. Die Strategie sieht es auch nicht vor. Zu wichtig ist China als Handelspartner, der auch gebraucht wird, um globale Probleme zu lösen. Ganz oben steht dabei der Klimaschutz.

Selbstverständlich erklärte Baerbock, China baue nach wie vor Kohlekraftwerke und sorge damit für eine weitere Zunahme globaler CO2-Emissionen. Sie konnte aber nicht umhin, anzuerkennen, dass das Land bei der grünen Energiewende vorangeht: Bei der Installation von Solar- und Windkraftanlagen könne Deutschland, könne Europa nicht mithalten.

Offenbar ist das ein Problem. China ist nicht mehr der ‚Bittsteller‘, der mit offenen Händen auf den ‚Regen‘ westlicher Technologie wartet, sondern in vielen Bereichen globaler Schrittmacher. So auch beim grünen Umbau des Verkehrs: Elektromobilität, gepaart mit einem intensiven Ausbau der notwendigen Infrastruktur und einer leistungsfähigen Batterie-Entwicklung und -Produktion.

Partner u/o Wettbewerber? – der Instrumentenkasten soll Werkzeuge an die Hand geben im Umgang mit China

Partner zu sein und Wettbewerber – in einer Wirtschaftswelt, die darauf zielt, technischen Fortschritt voranzubringen und Wohlstand für alle zu sichern, ist das eine ideale Kombination. Sich gegenseitig anzutreiben, um gemeinsam zu profitieren, was kann es Besseres geben?

Nun kommt aus deutscher und europäischer Sicht ein dritter Aspekt hinzu: der systemische Rivale. Denn China habe sich in den vergangenen zehn Jahren deutlich verändert, erklärt die Ministerin. Selbstbewusst trete es auf, so lautet der Vorwurf, den Lauf der globalen Entwicklung wolle es beeinflussen.

Es gab eine Zeit, lange vor Baerbock & Co., als China genau das Gegenteil vorgeworfen wurde: Seine wirtschaftliche Stärke nutze es nicht, um international Verantwortung zu übernehmen. Nun tut es China, und es ist wieder falsch, wie etwa die jüngste Aufregung um die chinesische Rolle in den Vereinten Nationen zeigt, die China unterwandere.

Instrumentenkasten für alle Eventualitäten

Im Übrigen wird in der Kritik am chinesischen Selbstbewusstsein ein Kern westlichen Denkens sichtbar, wonach die Richtung der Entwicklung nur von einer Seite vorgegeben werden kann. Die Formel ‚Wandel durch Handel‘, die ja nach Einschätzung vieler deutscher Politiker gescheitert ist, macht dies mehr als deutlich. China setzt dagegen auf wirtschaftliche Überzeugung, nicht auf den Export von Modellen. Mit unfairen Mitteln, wird in Berlin behauptet, was dazu führe, dass beispielsweise Brasilien, wie Annalena Baerbock ausführte, in Größenordnungen mehr nach China als nach Deutschland exportiert.

An dieser Stelle schlug sie den Bogen zu den Selten-Erden, die global vornehmlich aus China bezogen werden. Lieferketten sichern und neu ausrichten, Abhängigkeiten minimieren – darum geht es im künftigen Umgang mit China. Risiken sollen minimiert werden, um in Krisen nicht durch einseitige Abhängigkeiten die Stabilität der eigenen Wirtschaft zu gefährden.

Im Grundsatz folgt Deutschland damit China, das längst auf dem Weg ist, geo- und handelspolitischen Turbulenzen auszuweichen. Indem etwa eine eigene leistungsstarke Halbleiter- und Chip-Produktion aufgebaut wird. Insofern sollte die Strategie auch in Peking eher mit kühlem Kopf bewertet werden, zumal das mehr als 60 Seiten starke Dokument offenbar als Instrumentenkasten verstanden werden soll, der künftig genutzt wird, um auf aktuelle Entwicklungen schneller reagieren zu können.

Um die Ausgestaltung wird es in den kommenden Wochen gehen müssen – gemeinsam mit den Akteuren, die es besonders betrifft. Mit den Unternehmen, für die China beziehungsweise der chinesische Markt Rückgrat ist. Breche es aus politischen Erwägungen, bliebe dies nicht ohne Folgen für den Wohlstand in Deutschland. Das sollte jedem Akteur in dem ‚Spiel‘ bewusst sein. Gleichwohl darf davon ausgegangen werden, dass deutsche Unternehmer die Weisheit haben, wirtschaftliche Risiken einzuschätzen und entsprechende strategische Entscheidungen zu treffen. Die chinesischen ebenso.

Peter Tichauer

Peter Tichauer  ist ein ausgewiesener China-Experte. Nachdem er mehr als 20 Jahre das Wirtschaftsmagazin ChinaContact aufgebaut und als Chefredakteur geleitet hat, ist er seit 2018 im Deutsch-Chinesischen Ökopark Qingdao (www.sgep-qd.de) für die Kommunikation mit Deutschland verantwortlich.