Mit geschicktem Marketing, günstigen Preisen und oft auch patriotischen Appellen machen chinesische Marken auf ihrem Heimatmarkt den globalen Anbietern zunehmend Konkurrenz. Hier zeigt sich, dass die neue Wirtschaftsstrategie der Dual Circulation nicht unbedingt Entkoppelung von westlichen Anbietern bedeutet. Vielmehr müssen sie mit stärkerer einheimischer Konkurrenz rechnen.
Chinesische Marken gewinnen Konsumentenvertrauen
Im Jahr 2008 erschütterte ein Skandal um verseuchtes Milchpulver die Volksrepublik. Mindestens sechs Babys starben – und etwa 300.000 erkrankten schwer. Der Grund war in China hergestellte Säuglingsnahrung, die mit der giftigen Industriechemikalie Melamin versetzt war. Der Stoff sollte bei Tests einen höheren Eiweißgehalt der Kleinkindernahrung vortäuschen. Er führte aber auch zu schweren Nierenerkrankungen.
Viele chinesische Eltern stiegen sicherheitshalber auf ausländische Marken um. Mehrere Länder, darunter Singapur und Japan, beendeten den Import von chinesischer Milch. Die EU verschärfte ihr bereits bestehendes Importverbot für chinesische Milch und Milchprodukte.
Zwar wurden die Verantwortlichen hart bestraft und die chinesische Regierung versprach, in Zukunft entschlossen gegen Probleme bei der Lebensmittelsicherheit vorzugehen, aber das Vertrauen in chinesische Säuglingsnahrungshersteller war am Boden.
Mittlerweile hat sich die Lage in China gewandelt. So hat es der chinesische Milchpulverproduzent China Feihe Ltd. aus Peking geschafft, das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen. Das Unternehmen ist seit mittlerweile zwei Jahren führender Anbieter für Babynahrung in China.
Dabei war der der Erfolg zumindest anfangs an eine Branding-Kampagne geknüpft, die eine ausländische Herkunft implizierte: Bis 2013 war Feihe als American Dairy Inc. an der New York Stock Exchange notiert. Seit der Rückkehr zum chinesischen Namen betont Feihe, die chinesische Babynahrung habe die höchste Qualität in der Geschichte. Sie sie vergleichbar mit der der führenden globalen Marken. Außerdem verspricht die Werbung, dass die Erzeugnisse von Feihe besser auf die Bedürfnisse chinesischer Babys abgestimmt seien als ausländische Produkte.
Globale Markführer geraten unter Wettbewerbsdruck
Nicht zuletzt durch den Aufstieg von Feihe sehen sich die global führenden Anbieter von Babynahrung wie Nestlé oder Danone einem höheren Konkurrenzdruck durch die lokalen Anbieter ausgesetzt als noch vor wenigen Jahren.
Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung noch weiter beschleunigt. Denn die chinesische Regierung hat sie zum Anlass genommen, den sogenannten Daigou-Handel massiv einzuschränken. Dabei handelt es sich um Privatimporte nach China, die von im Ausland lebenden Freunden und Verwandten aber auch Dienstleistern verschickt werden. Gerade der Handel mit Milchpulver hatte derart schwunghafte Züge angenommen, dass in deutschen Drogeriemärkten, die Verkaufsmengen beschränkt werden mussten. In direkter Folge konnten Nestlé und Co. Die zuletzt gewohnten Wachstumsraten nicht mehr halten. Die immer weiter rückläufige Geburtenrate in China kam noch zusätzlich hinzu.
Chinesische Marken werden besser
Die in China heimischen Marken machen denen der global agierenden Konzerne zunehmend Konkurrenz. Egal, ob es sich um Babynahrung, Mineralwasser, Sportbekleidung oder Hautcreme handelt. Denn qualitativ haben die chinesischen Anbieter inzwischen in fast allen Sparten massiv aufgeholt. So sind die Sportschuhe führender chinesischer Produzenten wie Anta Sports nicht nur deutlich günstiger, sondern qualitativ den Produkten von Nike, Adidas und Co. durchaus ebenbürtig. 2020 stellte jetzt erstmals ein einheimischer Produzent den (vorübergehend) angesagtesten Turnschuh Chinas her.
Doch die verbesserte Qualität ist nicht der einzige Faktor. Zuletzt hat auch das wachsende Nationalbewusstsein den einheimischen Produkten Auftrieb gegeben. Immer mehr Konsumenten kaufen bewusst chinesische Produkte.
Die Corona-Pandemie befeuert den Wandel
Gerade in Zeiten knapper oder unsicherer Haushaltsbudgets nimmt die Attraktivität günstigerer Waren zu. Hier sind die lokalen chinesischen Online-Plattformen besser positioniert als die ausländische Konkurrenz. Diese Plattformen haben aufgrund der Pandemie noch einmal großen Zulauf erfahren. Somit haben die multinationalen Unternehmen gegenüber den chinesischen Marken in Marketing und Vertrieb einen zunehmend schwereren Stand.
Chinesische Marken fehlen noch im Premium-Segment
Dass chinesische Käufer inzwischen ein stärkeres Vertrauen in lokale Marken haben, bestätigen auch Markforscher. So stellen nach Angaben von Daxue Consulting chinesische Firmen mittlerweile sieben der zehn größten Kosmetikmarken im Land. Vor drei Jahren waren es nur drei gewesen. Die aufstrebenden chinesischen Marken wie Perfect Diary von Yatsen sind vom ersten Tag an überwiegend digital aufgestellt. Sie vertreiben ihre Produkte eher bei Tmall, einem Online-Einzelhändler der Alibaba Group und investieren große Teile ihres Marketingbudgets in Social-Media-Kanäle. Das drückt allerdings auf die Gewinnspanne. So liegt beispielsweise die operative Marge von Yatsen bei nur etwa 5 Prozent.
Anders die multinationalen Unternehmen wie Estée Lauder und L’Oréal. Sie investieren zwar ebenfalls sehr stark in ihr Online-Angebot, legen den Fokus aber dabei klar auf das erheblich profitablere Premium-Segment. Daher sind die Marktanteilsverluste der Make-up-Linie Maybelline von L’Oréal nicht verwunderlich. Sie hat im chinesischen Massenmarkt seit 2010 rund 10 Prozent verloren. Gleichzeitig hat L’Oréal aber im Premium-Segment die neuen Make-up-Marken Yves Saint Laurent und Giorgio Armani etabliert. Hier konnte der Konzern seinen Marktanteil in den letzten fünf Jahren um rund 15 Prozent Marktanteil steigern.
Die westlichen Kosmetikhersteller können daher vorerst beruhigt sein. Für sie wird es erst gefährlich werden, wenn die chinesischen Konkurrenten auch in das lukrativere und schneller wachsende Premium-Segment für Hautpflege vordringen. Bislang kann sich hier L’Oréal mit der Marke Lancôme noch sehr gut behaupten.
Von Chinesen für Chinesen
Mit ihrem Marketing treffen die chinesischen Unternehmen den Geschmack der Einheimischen. Während eine ausländische Marke den Nährwert ihrer Säuglingsnahrung in den Vordergrund stellt, pflegt die einheimische Marke Feihe die Beziehung zu den Verbrauchern. Das tut das Unternehmen über Treueprogramme, Hilfsgruppen für frischgebackene Eltern oder Buchbände mit Gute-Nacht-Geschichten. Auch passen die chinesischen Marken ihre Produkte zunehmend an dieceinheimischen Vorlieben an. So steigerte beispielsweise die China Mengniu Dairy Co. den Verkauf ihrer Milchprodukte durch Innovationen wie Käse mit Ananasgeschmack und Snacks mit Tintenfisch. Mit diesen, aus westlicher Sicht, exotischen Kompositionen erweiterte sie Basisangebot aus Milch und Fruchtjoghurt.
Nur wenige internationale Konzerne sind ebenso flexibel und setzen auf ähnlich innovative Vertriebsstrategien. Aber wenn, dann mit durchschlagendem Erfolg. So verkaufte zum Beispiel Estée Lauder am chinesischen Singles‘ Day Produkte für mehr als 2 Milliarden Yuan (mehr als 250 Millionen Euro). Die Schlüssel zum Erfolg waren eine Livestreaming-Kampagne, Zwei-für-Eins-Rabatte und Ratenzahlungspläne. Auch die in China führende US-Fast-Food-Kette Kentucky Fried Chicken ergänzte ihr Angebot mit Produkten wie schnellkochenden, sauren Schneckennudeln. Die pandemiebedingt zuhause festsitzenden Kunden nahmen das Angebot dankbar an.
Während viele ausländische Marken, gerade in den Hochpreis-Kategorien, weiterhin dominieren, geraten einige Sparten doch immer stärker unter Druck.
Chinesische Marken setzen zum Überholen an
China ist der mit Abstand größte Automarkt der Welt – und damit ein Schlüsselmarkt für deutsche Hersteller. Sie haben einen sehr guten Ruf und bislang kaufen die Chinesen gern die top ausgestatteten Luxusmodelle. Die Profitabilität deutscher Autobauer ist in China ungleich höher als in Deutschland. Doch wie eine aktuelle Umfrage zeigt, ist das angesagteste Auto in China längst kein Porsche oder Tesla mehr, sondern ein NIO.
Diese Marke gibt es erst seit 2014 und sie kann sich in Sachen Tradition und Strahlkraft (zumindest noch) nicht mit europäischen Marken messen. Dennoch hat NIO mit seinem Elektro-SUV bei Qualität und Design einen großen Sprung gemacht. Das aktuelle Modell bietet eine ordentliche Reichweite und ist deutlich günstiger als etwa ein vergleichbares Modell von BMW. Der Wettbewerbsdruck auf die europäischen Hersteller steigt durch chinesische Anbieter zunehmend.
Chinesische Automarken punkten mit ihren Geschäftsmodellen
NIO ist nicht der einzige neue Konkurrent. Längst drängen weitere chinesische Autohersteller wie BYD, BAIC oder Geely mit neuen E-Autos auf den Markt. Sie bieten nicht nur moderne Technik und günstigere Preise, sie gehen auch neue Wege. So spart sich die dreijährige Geely-Tochter Lynk & Co ein teures Vertriebsnetz. Jedes Auto wird komplett online konfiguriert und bestellt. Dabei muss das Auto nicht einmal gekauft werden. Alternativ bietet Lynk auch ein günstiges Abo-Paket inklusive Wartung, Steuer und Versicherung an. Die Abonnenten können ihr Auto zusätzlich mit Dritten teilen und so sogar noch Geld damit verdienen.
Auch Aiways vertreibt sein E-SUV über ungewohnte Wege. Das Auto wartet dank neuer Akkutechnologie mit großer Reichweite auch bei Minusgraden zu einem konkurrenzfähigen Preis auf – und das nicht nur in China. Kunden können den Wagen bereits in Europa Probe fahren. Allerdings nicht in einem Autohaus, sondern über die Filialen des Elektronikhändlers Euronics. Bestellt wird online und für die Wartung setzt Aiways auf den Kraftfahrzeugzubehör- und Autoteilehändler A.T.U. mit seinem Werkstattnetz.
Herzstück der E-Mobilität ist die Batterie. Daher setzen alle Autohersteller auf enge Partnerschaften mit erfolgreichen und innovativen Batterieherstellern. Einer der weltweit führenden heißt CATL und sitzt in China – ein möglicher Vorteil für chinesische Automarken.
Chinesische Anbieter bieten interessante Anlagemöglichkeiten
Westliche Marken haben in China nach wie vor einen hohen Stellenwert. Aber die chinesischen Anbieter haben branchenübergreifend massiv aufgeholt. Oft sind sie ihrer ausländischen Konkurrenz mit Blick auf Marketing und Vertrieb oder sogar technisch zum Teil eine Nasenlänge voraus. Die E-Mobilität ist dabei nur ein Beispiel von vielen.
Zusätzlich kommt „kauft chinesisch“ bei vielen chinesischen Kunden gut an. Was ausländische Produzenten zunehmend vor Probleme stellt, kann auch eine Chance für andere sein. Investoren bieten sich beispielsweise neue Möglichkeiten, in den chinesischen Binnenmarkt zu investieren.
René Kerkhof
René Kerkhof ist Analyst für die Sektoren Technologie, Automotive und Retail sowie Fondsmanager des DJE – Mittelstand & Innovation bei der DJE Kapital AG