China durchlebt zurzeit eine Krise mit zahlreichen Facetten, die angesichts der vielen Verstrickungen wahrscheinlich die komplexeste seit der Mao-Ära ist. Von Olivier de Berranger*
Politik, Immobilien, Gesundheit – die Risiken im Reich der Mitte
Auf politischer Ebene resultierte der 20. Kongress der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) in einer autokratischen Machtkonzentration. Die Geschicke der Nation liegen nunmehr in den Händen von Xi Jinping, eines einzigen Mannes, der ausschließlich von den treuesten der Getreuen umgeben ist. Die öffentliche Erniedrigung des früheren Generalsekretärs Hu Jintao, der gewaltsam vom Kongress ausgeschlossen wurde, symbolisiert dies auf ganz klare Weise. Das Konzentrieren von Macht kann funktionieren, solange es hell bleibt. Doch wenn das Licht ausgeht, kann der ganze Apparat ins Wanken geraten.
Dann wären da die Immobilien. Nachdem der Sektor zunächst von einer Krise der Immobilienentwickler getroffen wurde, fallen nun die Preise für Wohnimmobilien Monat für Monat immer weiter. Da sie knapp ein Viertel des BIP und 70% des Vermögens der chinesischen Privathaushalte ausmachen, wird das Rückgrat der chinesischen Volkswirtschaft zunehmend geschwächt.
Auf gesundheitlicher Ebene kommt auf das Land eine COVID-19-Welle von bislang unbekanntem Ausmaß zu. Die Zahl der täglich erfassten Fälle übersteigt mittlerweile die Wellen vom Januar 2020 und vom Frühjahr 2022. Zwar hat die Staatsmacht kürzlich ihre Null-Covid-Politik gelockert, doch die Logik bleibt dieselbe: radikale Maßnahmen ergreifen, sobald die ersten Fälle auftreten, ungeachtet der wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Kosten.
Gefahr der Isolierung und gesellschaftlicher Unmut
Auf geopolitischer Ebene könnten die Bestrebungen zur Annexion Taiwans die ohnehin bereits frostigen Beziehungen zu den USA noch weiter abkühlen. Sie bergen zudem das Risiko einer Isolierung, die umso kostspieliger ist, als die chinesische Wirtschaft immer noch weitgehend auf ihre Exporte angewiesen ist.
Nicht zuletzt ist der gesellschaftliche Unmut größer als je zuvor in China. Er mag in einem Land, das unter der Knute der KPCh steht, gewiss gedämpft wirken im Vergleich zu den Unruhen, mit denen westliche Demokratien bisweilen zu kämpfen haben. Dennoch häufen sich die Bilder von Demonstrationen im Zusammenhang mit der Immobilienkrise oder der Ablehnung der Corona-Beschränkungen. In einem Land, in dem knapp 20% der Jugendlichen von Arbeitslosigkeit betroffen sind, ist das eine bedeutende Herausforderung für die Staatsmacht.
Schwächstes Wirtschaftswachstum in 40 Jahren
Auf wirtschaftlicher Ebene liegt schließlich das für 2022 erwartete Wachstum bei nur 3,3% und ist damit das schwächste der vergangenen 40 Jahre. China, der Wachstumsmotor der Weltwirtschaft, verliert gefährlich an Fahrt. Wenn sich die gesundheitliche Lage weiter verschlechtert, belastet das das Wachstumspotenzial für die kommenden Quartale.
Am 23. November verzeichnete der chinesische Aktienmarkt, abgebildet durch den MSCI China, ein Minus von 33% seit Jahresbeginn, während der amerikanische S&P 500 nur die Hälfte verlor (-16%) und der Euro Stoxx 50 sogar noch weniger (-6%). Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Finanzmärkte die aktuellen und noch bevorstehenden Schwierigkeiten, mit denen das Reich der Mitte zu kämpfen hat, bereits weitgehend eingepreist haben. Bevor das Land sich auf eine neue Seidenstraße konzentriert, sollte es vielleicht zunächst die Chinesische Mauer verstärken.
*) Olivier de Berranger ist CIO bei LFDE
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Falko Bozicevic ist Mitglied des Redaktionsteams sowie verantwortlich für das Anleiheportal BondGuide (www.bondguide.de)