Als klar wird, dass die Covid bedingte Ausnahmesituation in China und die anhaltenden regionalen Lockdowns weit ins Jahr 2022 und vielleicht darüber hinaus hineinwirken werden, erhebt die AHK im Mai mittels eines Flash Surveys unter deutschen Firmen in China ernüchternde Daten. Neben Einblicken in die Auswirkungen der chinesischen Lockdownpolitik auf Lieferkettenprobleme und Produktionseinschränkungen liefert die Umfrage die Datengrundlage für einen unter Chinabeobachtern schon länger gehegten Verdacht: Expats und ausländische Fachkräfte verlassen das Land. 28% der ausländischen Fachkräfte in den befragten Unternehmen planen laut Survey, China aufgrund seiner Covid-19 Politik dieses Jahr den Rücken zuzukehren. VON TASHI GÖTZMANN
Chinas anhaltende harte Covid-19 Politik dürfte der Hauptgrund für die sich drehende Stimmung unter ausländischen Fachkräften und Expats sein. Während die meisten Länder rund um den Globus eine schnelle Öffnung und Rückkehr zu einem Punkt vor der Pandemie anstreben, verfolgt China weiterhin einen strikteren Sonderweg. Dabei stand China noch unter anderem gerade wegen seines Sonderwegs mit Rang 20 im internationalen Vergleich gut da, als letztes Jahr der Expat Insider 2021 veröffentlicht wurde. Dieser Vorteil hat sich in den letzten Monaten ins Gegenteil verkehrt. Die wachsenden Unannehmlichkeiten der strickten Zero-Covid Politik inklusive regionaler Lockdowns und anhaltendem Testen wiegen in China weniger als die Angst vor einem größeren Ausbruch und neuer Virusvarianten.
Für China ein unwillkommener Nebeneffekt
Neben dem Aufbau einer starken Basis nationaler Fachkräfte und Wissenschaftler gehört auch die Etablierung Chinas als ein globaler HUB für internationale Talente zu einem der definierten Ziele des 14ten Fünfjahresplanes (2021-2025). Mit der Verlängerung von Steuervorteilen für ausländische Fachkräfte bis 2023 und der Abschaffung des PU Letters, also staatlich beglaubigten Einladungsbriefen für die Ausstellung von Arbeitsvisa (im Juni 2022 für Z-Visa und seit Anfang Juli auch teilweise für M-Visa) dürfte China dem Trend der fliehenden Expats entgegenwirken wollen. Gerade die Abschaffung der PU Letters, die den Prozess der Beantragung bisher deutlich verlängern konnten, steht für die entschiedene Reduzierung von bürokratischem „Red Tape“ für die Akquisition internationaler Fachkräfte. Schließlich verfolgt die Regierung als zentrales Ziel auch, mehr ausländische Investment (FDIs) nach China zu bringen. Die regelmäßigen Verkürzungen der Negative Lists und die Öffnung neuer Sektoren für ausländische Investoren zeigen, dass China weiterhin an einer tieferen internationalen Vernetzung interessiert ist.
Die Anzahl von Investmentprojekten von Europa nach China erfuhr durch die Pandemie einen klaren Rückgang. Die Zahlen der gesunkenen Investitionen 2022 offenbaren den deutlich anhaltenden Einfluss der Zero-Covid Einschränkungen in China. Nichtsdestotrotz verkündete MOFCOM im Mai, dass FDIs nach China relativ zu den Vormonaten wieder zugenommen hätten und gibt sich zuversichtlich für die weitere Entwicklung.
An der positiven Langzeit Perspektive für China hat sich für ausländische Investoren und internationale Unternehmen, die in China beteiligen, trotz aktueller Notlage damit wenig geändert China wird weiterhin ein lukratives Ziel für Investments und Expansionen blieben. Die aktuellen Rückschläge und auch der Expat Exodus sind als Teil des Preises zu sehen, den die Regierung im Rahmen des kurzfristigen Kampfes gegen die Pandemie zu zahlen bereit ist.
Expat Exodus birgt Risiken
Dennoch müssen sich deutsche Unternehmen mit den negativen Folgen der schwindenden Zahl ausländischer Fachkräfte in China auseinandersetzen. Zunächst erodiert dadurch die deutsche Chinakompetenz insbesondere auch auf der menschlichen Ebene. Diese Entwicklung zeigt sich seit Jahren auch in der schwindenden Rolle der Sinologie an deutschen Universitäten, aber auch an fehlendem Wissen über China unter deutschen Fachkräften generell. Das versiegende Verständnis für einen der wichtigsten Wirtschaftspartner der Bundesrepublik benachteiligt aber deutsche Unternehmen hierzulande und in China selbst. Ein zweiter Effekt des Exodus ist die Verschärfung des Fach- und Führungskräftemangels an den chinesischen Standorten deutscher Unternehmen. Dort die geeigneten Leute zu finden, kostet immer mehr Zeit und Ressourcen. Und die deutschen Firmen verlieren zusehends den direkten Kontakt und die Kontrolle über ihr Chinageschäft. Im Mai berichtet Thomas Nürnberger, Vertriebschef des deutschen Hidden Champions EBM Papst, von den Einreisestrapazen und Schwierigkeiten vor Ort, die man auf sich nehmen muss, um endlich das Chinageschäft des Unternehmens selbst zu besuchen . Sein Besuch des Werkes in der zentralchinesischen Stadt Xi’an, vor ein paar Jahren noch reine Routine, wurde durch drei Wochen Quarantäne und eine Woche anschließende Isolation sowie strikte Tests und Kontrollen zu einem größeren Kraftakt.
Chancen
Die genannten Herausforderungen bergen auch Chancen für deutsche Unternehmen in China. Dazu folgende Überlegung: Weniger ausländische Fachkräfte haben eine Lokalisierung der Arbeitskräfte zur Folge. Diese Lokalisierung des Talents in internationalen Unternehmen kann dann zu einer Verschärfung der lokalen Chinastrategie führen und in eine bessere Anpassung an die Besonderheiten des chinesischen Marktes münden. Als Zweites kann die Lokalisierung von Talenten zu einer höheren Gewichtung der Ausbildung von chinesischem Nachwuchs direkt im Markt führen. Eine solche Entwicklung würde deutschen Unternehmen mehr Einfluss über die gezielte Ausbildung von neuen Talenten geben kann. Diese potenzielle Anpassung von chinesischen Auszubildenen an die Bedürfnisse deutscher Unternehmen birgt die langfristige Chance auf eine intensivere Integration der Unternehmen in China. Und als Drittes schaffen die aktuellen Schwierigkeiten in China Raum für die Konzentration auf eine übergreifende Asienstrategie. Der gezielte Ausbau von asiatischen Standorten wie zum Bsp. Singapur zu einem regionalen Headquarter kann zu einer umfassenderen Integration des Chinageschäfts in die Asienstrategie internationaler Unternehmen führen.
China langfristig im Auge haben
China setzt durch seinen aktuellen Sonderkurs Jahrzehnte der Internationalisierung aufs Spiel. Der Braindrain von internationalem Talent und die weiteren negativen Effekte von Beijings Politik belasten das Chinageschäft deutscher Unternehmen merklich und wiegen schwer in den Überlegungen zur Zukunft des chinesischen Marktes und seiner Bedeutung für deutsche Investoren. Sie sollten aber eine langfristigere Perspektive einnehmen und mit den Herausforderungen Schritt für Schritt umgehen. Die oben gelisteten Signale aus China zur fortbestehenden strategischen Bedeutung ausländischer Investoren deuten deutlich auf eine Besserung in der Zukunft hin. Bis dahin sollte man mittels verstärkter Lokalisierung des Chinageschäfts, der Förderung von Auszubildenen in China und der Konzentration auf eine allgemeinere Asienstrategie seine Strategie entsprechend anpassen. Diese kurzfristigen Investitionen von Zeit und Ressourcen werden sich langfristig bezahlt machen, sobald China sich von der Fixierung auf die Pandemie lösen kann und seine Stellung in der Weltwirtschaft weiter festigen wird.
Tashi Götzmann
Tashi Götzmann (扎西)ist Foreign Direct Investment und Trade Analyst bei OCO Global, einem Beratungsunternehmen für internationale Wirtschaftsentwicklung. Er beschäftigt sich eng mit Investitionsströmen zwischen Europa und China und berät Akteure aus dem privaten und öffentlichen Sektor bei der Durchsetzung ihrer Internationalisierungsstrategien. Zuvor studierte er in Hangzhou und arbeitete bei einer NGO in Chengdu. Tashi Götzmann besitzt einen MA in China Business.