Transaktionen dürften wieder zum normalen Niveau zurückkehren

Alexander Limbach - Adobe Stock

Bildnachweis: Alexander Limbach – Adobe Stock.

Der deutliche Rückgang der chinesischen Investitionen in Deutschland in den letzten beiden Jahren wirft die Frage auf: Stellt der Rückgang nur eine Corona bedingte Delle dar oder ist er Ausdruck eines längerfristigen Trends? Zumindest waren Deutschland, Frankreich und Großbritannien die wichtigsten Zielländer für chinesische Direktinvestitionen in Europa. Aber werden die chinesischen Beteiligungen bereits im kommendem Jahr wieder ansteigen? Einschätzungen und Einblicke aus der Geschäftspraxis mit den chinesischen Investoren gibt Boashan Bao, Partner in der M&A-Beratungsorganisation Livingstone.  INTERVIEW GEORG VON STEIN

Investment Plattform China/Deutschland: Wie sehen Sie die Situation für die nach Deutschland und Europa gerichteten chinesischen Investitionen und M&A für 2022 und darüber hinaus?

Bao: Nach der langen Boomphase chinesischer M&A in Europa bis zum Jahre 2017 und dem Sinken der Transaktionen danach – insbesondere 2020 – dürften die Transaktionen anno 2022 langsam wieder zum normalen Niveau zurückkehren, sofern sich die Corona-Lage im zweiten Halbjahr beruhigen sollte. Dafür gibt es drei wesentliche Gründe: Erstens wird Chinas Wirtschaft immer reifer. Je reifer eine Wirtschaft ist, desto mehr braucht sie M&A-Investoren, um Wachstumsschübe auszulösen. Zweitens: Viele international aufgestellte chinesische Unternehmen versuchen über die Transaktion in Europa schneller an die neuen Märkte und an die neuen Technologien zu kommen. Das befeuert chinesische Investoren, bei M&A in Richtung Europa und Deutschland zu denken. Drittens: Im Vergleich zu europäischen genießen gut aufgestellte chinesische Unternehmen höhere Bewertungen an den chinesischen Börsen, weshalb sie M&As vorantreiben, um Unternehmen mit einem für sie besseren Bewertungsverhältnis zu kaufen. Die neu gegründete Pekinger Börse erleichtert es dabei noch mehr Unternehmen, an mehr Kapital zu kommen, was später für Beteiligungen genutzt werden kann. Dafür stehen die guten Technologien deutscher Unternehmen natürlich im Fokus. In Zukunft werden vor allem die privaten chinesischen Unternehmen, bei denen die Entscheidungswege schneller und kürzer sind, noch mehr M&As initiieren.

In welchen Branchen und Bereichen wird es vermehrt chinesische M&A-Aktivitäten geben und in welchen weniger?

Dem Institut der deutschen Wirtschaft zufolge gab es zwischen 2010 und 2019 folgende Verteilung der chinesischen Investitionen in Deutschland: 69 in Maschinenbauunternehmen, 59 in Automobil und Zulieferer, 26 in Informations- und Elektrotechnik, 24 in Pharma & Chemie, 27 in Konsumgüter, 15 in erneuerbare Energien und sieben in Logistik sowie 45 in anderen Branchen. In diesen Branchen werden sich auch 2022 zahlreiche Targets finden. Früher kauften chinesische Investoren Unternehmen in Deutschland oder Europa dabei aufgrund von opportunistischen Aspekten, also z.B. eines günstigen Preises als Folge einer Insolvenz. Wenn sie dann damit auf dem chinesischen Heimatmarkt nicht erfolgreich agierten, bekamen sie Probleme. Seit 2010 haben die chinesischen Investoren besser gelernt, welche Beteiligungen funktionieren und welche nicht. Sie denken viel langfristiger. Insofern ist auch der Multiple heute weniger entscheidend.

Worauf fokussieren sich die Investoren also heute in den einzelnen Branchen?

Attraktiv sind nach wie vor Bereiche, in denen auch die deutschen KMU ihre Innovationsstärke zeigen, so z.B. die moderne Verfahrenstechnik bzw. neue Materialien und neue Technologien im Allgemeinen. Dann sind Bereiche interessant, in denen die chinesischen Unternehmen seit wenigen Jahren sehr aktiv sind, darunter vor allem die Automationstechnik. In diesem Sektor werden in den nächsten Jahren einige kleinere bis mittelgroße Transaktionen stattfinden, weil hier durch Digitalisierung, Internet of Things etc. viele Start-ups in den Markt kommen werden. Wichtig geworden sind auch noch die Bereiche, erneuerbare Energien, E-mobilität und auch die damit verbundenen Kernkomponenten wie z.B. Speichertechnik, Batterietechnik. Und auch Medizintechnik, Sensortechnik und neue Kommunikationstechnologien wie z.B. 5G zählen zu den sehr attraktiven Bereichen für die chinesischen Unternehmen. In all diesen Bereichen suchen chinesische Unternehmen auch weiterhin vermehrt Targets.

Wie finden chinesische Investoren ihre Targets in Deutschland und Europa in Zeiten von Corona und digitalisiertem Austausch? Werden neuen Wege und Plattformen genutzt?

Das Finden und Empfehlen von Zielunternehmen wird bisher auf mehreren Kanälen organisiert: Dazu zählen Delegationsreisen, organisierte Besuche und Austausche, Seminare sowie die Promotion und Empfehlung verschiedenster Investitionsaktivitäten mithilfe eines professionellen Teams. Mittlerweile werden M&A-Prozesse digitaler abgewickelt. So haben wir im letzten Jahr zum ersten Mal eine Transaktion vollzogen, ohne dass die chinesischen Investoren einen „site visit“ vor Ort genommen haben. Das Investment von TZTEK Machine Vision bei der MueTec Automatisierte Mikroskopie und Messtechnik GmbH konnten wir nur durchführen, weil wir das Vertrauen lange vorher aufgebaut hatten. Dadurch haben die Investoren von TZTEK Machine Vision uns die vor Ortprüfung des Unternehmens überlassen. Inzwischen versuchen auch digitale Plattformen, Transaktionen zwischen Käufer und Verkäufer im Internet anzubahnen oder gar zu organisieren, aber für seriöse M&A-Anbieter ist das keine Alternative. Gerade in China erreicht man die strategischen Investoren durch persönliche Arbeitsbeziehungen bzw. viele Kontakte kommen durch die gezielte Ansprache von Targets zustande. Plattformen sind höchstens für Gedankenaustausche geeignet. Für die Nach-Covid-Zeit glaube ich nun, dass das M&A-Geschäft von einer Mischung aus fachlichem Austausch der professionellen Berater vor Ort und digitalen Begegnungen geprägt sein wird.

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Baoshan Bao
Livingstone

Baoshan Bao ist als Partner verantwortlich für das Chinageschäft der internationalen M&A-Beratungsorganisation Livingstone. Nach seinem Studium der Politikwissenschaften in China studierte er Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln. Durch die Mitarbeit an vielen deutsch-chinesischen M&A Projekten sammelte zahlreiche einschlägige berufliche Erfahrungen.