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Im Jahr 2021 wurden Waren im Wert von 246,5 Mrd. EUR zwischen Deutschland und der Volksrepublik China gehandelt – also Exporte und Importe. China war damit zum sechsten Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner. Gleichzeitig hat die Volksrepublik für deutsche Unternehmen einer aktuellen Umfrage der AHK China zufolge an Attraktivität verloren. Nur 51% beabsichtigen demnach, ihre Investitionen in China in den nächsten zwei Jahren auszubauen – 2021 waren es noch 71%. Grund genug zu hinterfragen, wie sich deutsch-chinesische Investitionen 2023 entwickeln und welches die wichtigen Einflussfaktoren sind.
Zwischen Coronalockerungen, China +1 und verschärfter Investitionskontrolle in Deutschland: Wohin entwickeln sich 2023 die deutsch-chinesischen Investitionen?
Weber: Investitionen aus Deutschland in China werden vor allem unter dem Motto „in China für China produzieren“ getätigt werden – nachdem alle Unternehmen ihre internationale Lieferketten auf Sicherheit und Nachhaltigkeit überprüft und justiert haben. Besonders die von der chinesischen Regierung angesagte Umgestaltung der chinesischen Volkswirtschaft auf ein Zwei-Kreislauf-System, eines für den Binnenmarkt und eines für den Export, macht insbesondere für KMU ein Onboarding in China sinnvoll oder notwendig, um auch in Zukunft chinesische Kunden bedienen zu können. Außerdem kann ein deutsches Unternehmen nur in China vor Ort an der Dynamik des chinesischen Markts teilhaben, chinesische Konkurrenten kennenlernen und mittelfristig global auch von Bedeutung bleiben. Die chinesische Volkswirtschaft hat allerdings Corona noch nicht hinter sich. Der Zickzackkurs der chinesischen Regierung – von absoluter Kontrolle und ständigem Testen zu fast totaler Aufgabe der Kontrolle – führt schon jetzt zu einem Anstieg der Anzahl an Coronakranken im Land. Die Frage ist, ob die medizinische Versorgung des Landes ausreichen wird oder es dann doch wieder zu neuen Einschränkungen kommt. 2023 wird wirtschaftlich in China ein Jahr der Stagnation sein; nach Corona sind einem raschen Wiederaufleben zumindest in Sachen Binnenkonsum indes keine Grenzen gesetzt.
Vogel: Die Deglobalisierung wird 2023 weiter voranschreiten. Die Liefer- und Wertschöpfungsketten zwischen China und Deutschland bzw. Europa werden bereits seit zwei Jahren auf den Prüfstand gestellt. Nun werden Entscheidungen seitens europäischer Unternehmen zu alternativen Zulieferern, eigene Produktions- und Dienstleistungsstandorte in Asien, neben China vor allem Indonesien, Vietnam, Indien sowie Rückverlagerung nach Europa 2023 und 2024 umgesetzt. Wir bei VM bezeichnen diese Unternehmensstrategie als Value Chain Disruption. Ein Rückgang der deutsch-chinesischen Investition für langlaufende Maßnahmen wie z.B. bei BASF und Covestro ist kurzfristig nicht zu erwarten. So ergab die letzte Sommerumfrage der European Union Chamber of Commerce in China, dass ein Viertel der Mitgliedsunternehmen zunächst nicht weiter in China investiert. In den nächsten fünf Jahren erwarten nach einer aktuellen Umfrage der deutschen Außenhandelskammer in China (AHK) aber drei Viertel der Mitgliedsunternehmen weiterhin Umsatzwachstum.
Arnold: Das erste Halbjahr 2023 wird weiterhin von großen Unsicherheiten geprägt sein. Grundsätzlich werden sich die Öffnung der Einreisebeschränkungen und Reduzierung von Quarantänevorschriften positiv auf Investitionsaktivitäten im Verlauf von 2023 auswirken. Ähnlich wie in anderen Teilen der Welt nach der Pandemie ist ein Nachholeffekt ausländischer Investitionen zu erwarten. Zurückgestellte Investitionsprojekte werden mit der Lockerung der Coronavorschriften wieder aufgegriffen und realisiert. Es ist zu erwarten, dass ein Großteil der Investitionsaktivitäten durch regionale Standortverlagerungen und Expansionsprojekte von bereits ansässigen Unternehmen erfolgen wird. Investitionsprojekte von Unternehmen, die ihre erste Produktionsstätte in China aufbauen, gibt es noch relativ wenige, es könnten aber mit der Öffnung wieder mehr werden. Zudem ist mit einer verstärkten Diversifizierung der Standort- und Zulieferstrukturen in Asien zu rechnen. Dies wirkt sich auf existierende Standorte in China aus, die vorwiegend für den lokalen Markt zuständig sein, während exportorientierte Produktionen an andere Standorte außerhalb von China verlagert werden.
Wie begegnet man der zunehmenden „Politisierung“ der wirtschaftlichen Beziehungen und Investmentprojekte zwischen Deutschland und China?
Weber: Unternehmen sollten sich nicht scheuen, diese Themen offensiv mit der deutschen Regierung zu diskutieren. Als Markt bieten die diskutierten Länder Südostasiens nur geringe Chancen im Vergleich zu China; außerdem sind alle diese Länder in der Freihandelszone RCEP zusammen mit China eingebunden und meistens auch wirtschaftlich schon stark von chinesischen Akteuren besetzt. Es ist wichtig, dass Unternehmen ihre Lieferketten auf ethische Grundlagen hin ausrichten und dass auch klare Regeln in Europa bestehen, nach denen ausländische Konkurrenten nur dann auf unseren Markt agieren dürfen, wenn sie nachweislich vergleichbare ethische Grundsätze anwenden. Unternehmen, die schon in kritisch diskutierten Regionen, wie Xinjiang, investiert haben, sollten klarstellen, unter welchen Konditionen ihre Mitarbeiter vor Ort arbeiten und entlohnt werden. In Europa und damit auch in Deutschland sollten klare und auch durchsetzbare Regeln für chinesische Investoren herrschen, die streng an den Sicherheitsinteressen unserer Seite orientiert sind und darüber hinaus auch nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit funktionieren: Wenn eine vergleichbare Investition ausländischer Unternehmen in China nicht erlaubt wäre, sollte das auch nicht für chinesische Unternehmen in Europa möglich sein. Dabei sollte Europa als ein Block handeln und sich nicht in kleinstaatlicher Optimierung verlaufen.
Vogel: Industrie- und Dienstleistungsunternehmen haben durch die Russland-Ukraine-Situation verstanden, dass sie sich flexibler aufstellen müssen. Gewachsene Infrastrukturen und eine direkte Bahnverkehrsader für Güter zwischen Duisburg und China, hohe Innovationskraft in chinesischen Städten und wertvolle neue Partnerschaften bieten nach wie vor Wachstumschancen. Der weltgrößte, taiwanesische Handyproduzent Foxconn mit großen Produktionsstandorten in China hat im Oktober rund 30% Umsatzrückgang (auf 18 Mrd. USD) gemeldet im Vergleich zum Vorjahresmonat. Insgesamt haben gemäß einer VM-Kunden-Studie die führenden Unternehmen der Branchen Stahl/Metall, Chemie, Maschinen-/Anlagenbau die politischen Risiken bereits neu bewertet, die Investitionsstrategien auf „Halten“ gesetzt. Die weiterhin großen Unsicherheiten der EU- und US-Beziehungen zu China sind ein weiterer Grund dafür, dass in vielen Unternehmen bisher keine komplett neuen Chinastrategien verabschiedet wurden. Das Risikomanagement auch der politischen Risiken wird weiterhin ausgebaut, z.B. werden diese jetzt eher quartalsweise und nicht nur jährlich neu eingeschätzt.
Arnold: Der Einfluss von Regierungsorganisationen und deren Gesetzgebungen auf die Marktentwicklung spielt eine zunehmend wichtige Rolle in der Chinageschäftsplanung von Unternehmen. Dazu ist ein detailliertes Verständnis der Regularien essenziell und es bedarf der Investitionen in lokale Expertise, um deren Auswirkungen auf das eigene Geschäft zu erfassen. Auswirkungen der „Politisierung“ auf die Geschäftstätigkeiten sind sektoral sehr unterschiedlich. Grundsätzlich gilt jedoch: China ist und bleibt ein sehr wichtiger Markt für deutsche Unternehmen, der allerdings von steigender Komplexität geprägt ist und damit höheren Ressourcenaufwand bedeutet. In diesem Kontext kommt dem Aufbau von Partnerschaften zwischen deutschen Regionen und lokalen chinesischen Regierungen eine wichtige Rolle zu. Export- und Investitionsförderagenturen in Deutschland und China sind hier gefragt, Transparenz der Investitionsbedingungen zu vermitteln und die Kooperation der Marktakteuren zu unterstützen.
Viele deutsche und ausländische Fachkräfte verlassen China, allerdings ist der Talentpool in China sehr groß und wächst auch weiter. Welche Strategien sollten Unternehmen und Investoren im Umgang damit fahren? Welche Implikationen hat das?
Weber: Ich hoffe, dass sich nach dem Ende der Coronakrise in China auch wieder mehr ausländische Fachkräfte in China niederlassen. Besonders wichtig erscheint mir, dass europäische Unternehmen in China nicht nur ausländisches Topmanagement stellen, sondern vielmehr im Mittelbau des Unternehmens Techniker und Manager aus dem Ausland einstellen, um einen echten Austausch von Know-how zu schaffen. Oft ist es heute sinnvoll, in der Führungsrolle eine einheimische Kraft arbeiten zu lassen, besonders wenn es darum geht, chinesische Kunden zu überzeugen. Wichtiger als früher wird es sein, dass die ausländischen Fachkräfte sich mehr mit China auseinandersetzen und das Land besser verstehen lernen. Es sollte genauso selbstverständlich sein, in China zu arbeiten, wie in Frankreich oder den USA. Das heißt aber, dass Unternehmen mehr Menschen mit chinesischen Sprach- und Kulturkenntnissen einstellen und ihnen interne Entwicklungschancen bieten. Der angesprochene chinesische Talentpool ist eben nicht sehr groß; er ist überaus einseitig und wird fast in Gänze von chinesischen Unternehmen aufgenommen. Daher kosten auch gute und erfahrene chinesische Manager nicht weniger als ausländische Manager.
Vogel: Europäische Firmen hatten bereits in der Vergangenheit gute Erfahrung mit chinesischen Studierenden in Europa. Mittlere und höhere Führungskräfte werden nun ebenfalls aus China stärker „nachgefragt“. Viele Doktoranden aus China in Deutschland werden eher doch nicht nach China zurückkehren. Einer Studie des MarcoPolo und des Paulson Institute zufolge repräsentierten chinesische Forscher ca. ein Viertel bei der renommierten KI-Konferenz 2019. Damit ist von einem weiteren „Brain-Drain“ des chinesischen Talentpools auszugehen, verbunden mit Nachteilen für die chinesische Wirtschaft. Dieser Trend wird sich eher verstärken, weil das chinesische Wirtschaftswachstum aktuell einbricht und die Jobangebote für hoch qualifizierte Chinesen in anderen Teilen der Welt zunehmen, nicht zuletzt in Europa und Deutschland.
Arnold: Die Verfügbarkeit und vor allem die Entsendung von Fachkräften nach China ist in der aktuellen Situation eine große Herausforderung. Insbesondere der kurzfristige Einsatz von Personal macht es für Unternehmen schwierig, vor Ort Projekte durchzuführen. Dies ist einerseits durch die niedrige Planbarkeit der Einsatzfähigkeit der Mitarbeiter bedingt aufgrund von regionalen Lockdowns, andererseits durch die noch vorliegenden Einreisebedingungen. Das Interesse seitens der Mitarbeiter ausländischer Unternehmen an einer kurzfristigen Entsendung nach China ist derzeit gering. Viele deutsche Unternehmen setzen daher auf eine Lokalisierung der Belegschaft und den Einsatz chinesischer Manager vorzugsweise mit Deutschkenntnissen. In der Tat haben langjährige China-Fachkräfte in den letzten Jahren das Land verlassen, allerdings ist China für viele ausländische Fachkräfte und Manager nach wie vor ein reizvoller Markt und Standort.
Vielen Dank für das Interview.
www.china-bw.net/de
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Georg von Stein
Dipl.-Kfm. Georg von Stein arbeitet seit 28 Jahren als Journalist. In dieser Zeit hat er Beiträge für die unterschiedlichsten Medien (Wirtschaft, IT, Lifestyle) publiziert und viele Persönlichkeiten der deutschen Wirtschaft und Politik interviewt - Bundespräsidenten, Unternehmer, CEOs. Seit 2004 arbeitet er für den Goingpublic Verlag und als Nachfolger für Stefan Gätzner wirkt er seit 2019 als Chefredakteur der Investment Plattform China Deutschland.
Dieser Post ist auch verfügbar auf: Vereinfachtes Chinesisch