Habemus Ruber-Gilvus-Virens. Die Koalition, die „mehr Fortschritt wagen“ will, ist im Amt. Ab jetzt müssen sich Olaf Scholz und sein „Ampel“-Kabinett auch am eigenen Koalitionsvertrag messen lassen müssen. Schon bald könnten ihnen aber ihre eigenen Ideale auf die Füße fallen.
In dem 177 Seiten umfassenden Dokument wurde internationalen Fragen nur wenig Raum gegeben. Gerade einmal 17 von 6.030 Zeilen widmen sich den Vorstellungen, wie die Zusammenarbeit mit China gestaltet werden sollen, das als „Partner, Wettbewerber und Systemrivale“ gesehen wird, mit dem „wo immer möglich“ die Kooperation „gesucht“ werden soll. Als ob China nicht längst zum wichtigsten Handelspartner Deutschland aufgestiegen wäre. Als ob für deutsche Unternehmen, Auto- und Maschinenbauer genauso wie die Chemieriesen und viele Hidden Champions, der chinesische Markt nicht einer der wichtigsten wäre, der ihnen in den vergangenen Jahren ermöglicht hat, so manch eine die Welt ergriffene Krise fast unbeschadet zu durchschiffen. Beide Länder, Deutschland und China, sind eng miteinander verknüpft. Kein anderer als der Bundeskanzler selbst müsste besser wissen, wie wichtig gut geschmiert laufende Geschäfte mit China sind. Immerhin macht im Hafen seiner Heimatstadt Hamburg der chinesische Container-Umschlag fast ein Drittel aus. Von 4,3 Millionen TEU, die im ersten Halbjahr dieses Jahres umgeschlagen wurden, kamen 1,3 Millionen aus chinesischen Häfen. Bräche dieses Standbein weg, es stehe schlecht um den Hafen Hamburg.
Und hier beginnt die Crux. Denn weniger von Pragmatismus und deutschen Interessen scheinen die gegenüber China gestellten Forderungen geprägt zu sein, in denen auf nur wenigen Zeilen alle Register gezogen werden, die, jeder sollte es inzwischen wissen, in China mit Argwohn betrachtet und als „innere Angelegenheit“ gesehen werden, jedenfalls nicht als Vorbedingung für Beziehungen auf Augenhöhe. Treiben lassen haben sie sich vom US-amerikanischen Präsidenten Biden, dem es, das ist inzwischen mehr als offensichtlich, nicht um ein starkes transatlantisches Bündnis und ein gleichwertiges Europa geht. Biden braucht Europa sozusagen als Sekundanten für seine eigenen transpazifischen Ziele, dem neu ausgemachten strategischen Feind Einhalt zu bieten. Die Ampel folgt dem „amerikanischen Bruder“ sozusagen blind, und lässt dabei möglicherweise Söhne und Töchter im eigenen Land im Regen stehen. Weitsichtig ist das jedenfalls nicht.
Wettbewerber müssen einander akzeptieren
Denn Rot, Grün oder auch Gelb sollte nicht verborgen geblieben sein, dass wir uns im Jahr 2021 befinden und nicht mehr in den Zeiten der Opiumkriege, als ein schwaches Qing-Reich von einer europäischen Großmacht leicht in die Knie gezwungen werden konnte. China ist auch keine Bananenrepublik, der Deutschland diktieren kann, was sie zu tun und zu lassen hat. Selbst wenn der chinesische Staatspräsident immer wieder betont, die „Wiedergeburt der chinesischen Nation“ müsse vollendet werden, wird wohl kein sehenden Auges durch die Welt gehender Mensch bezweifeln, dass China längst wieder seinen Platz auf der Weltbühne eingenommen hat. Ja, die zweitstärkste Volkswirtschaft der Welt ist in vielen Bereichen zu 2 einem Wettbewerber geworden. Na und? Haben Deutschland, Europa, die westliche Welt nicht die Stärke, sich diesem Wettbewerb zu stellen, wie es das Selbstverständlichste wäre?
Wettbewerber müssen einander akzeptieren, wenn sie sich schon nicht gegenseitig schätzen wollen. Wird die neue Bundesregierung in den Beziehungen zu China ihre eigenen Ideale zum Maß aller Dinge machen, könnten es die deutschen Unternehmen in China, die trotz aller durch Corona entstandenen Schwierigkeiten allen Umfragen zufolge den chinesischen Markt weiter als wichtig betrachten, zu spüren bekommen. Ohne Auswirkungen auf Deutschland bliebe das nicht. Denn es ist ja nicht so, wie landläufig behauptet, dass mit dem Aufbau des Chinageschäfts an den Standorten der Headquarters alles lahmgelegt wird. Florieren die chinesischen Tochtergesellschaften, geht es auch den Müttern in Deutschland gut. Sprich: Es gibt Arbeit, und es fließen Steuern. Im Kontext der gesellschafspolitischen Ziele wird deren Wegfall für die Ampel-Parteien zu einem Problem. Bedacht haben sie das offensichtlich nicht.
Peter Tichauer
Peter Tichauer ist ein ausgewiesener China-Experte. Nachdem er mehr als 20 Jahre das Wirtschaftsmagazin ChinaContact aufgebaut und als Chefredakteur geleitet hat, ist er seit 2018 im Deutsch-Chinesischen Ökopark Qingdao (www.sgep-qd.de) für die Kommunikation mit Deutschland verantwortlich.