Es sollte Grundlage für die weitere Ausgestaltung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und China sein – nun liegt es auf Eis. Das EU-Parlament hat sich entschieden, die Ratifizierung des bilateralen Investitionsabkommens auszusetzen. Sieben Jahre harter Verhandlungen wurden damit mit einem Handstreich (vorerst) zunichte gemacht. Das Abkommen sollte zu einem Höhepunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft werden, der letzten unter der Ägide von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Buchstäblich auf den letzten Metern wurde es unterschrieben. China wurden damit weitere Zugeständnisse bei der Marktöffnung abgerungen. Zugeständnisse auch bei Arbeitsbedingungen. Und – für die künftige globale technologische Entwicklung nicht zu unterschätzen – die Bereitschaft, mit den Europäern bei der Definition von Standards an einem Tisch zu sitzen.
Das alles ist jetzt erst einmal vom Tisch, weil, wie Politiker von Bütikofer bis Röttgen behaupten, die Formel „Wandel durch Handel“ gescheitert sei und China im Gegenteil versuche, seinen Einfluss in der Welt auszubauen.
Ist unser Gedächtnis tatsächlich so schwach? Kann sich keiner mehr an die Forderungen der Europäer erinnern, China solle seine zunehmende wirtschaftliche Stärke nutzen, um in der Welt Verantwortung zu übernehmen? Tut das Land es aber, wird es argwöhnisch beobachtet. So war es mit dem Engagement im von der westlichen Welt vergessenen Afrika. So ist es mit der Seidenstraßeninitiative. Dass China weder dort noch hier selbstlos handelt, liegt auf der Hand. Kein wirtschaftlicher Akteur dieser Welt ist eine Mutter Theresa. Mit der neuen Seidenstraße entsteht aber eine Regionen übergreifende Infrastruktur, die es mehr Sonnenstrahlen erlaubt, ihren Weg in die „Hinterhöfe“ dieser Welt zu finden.
Die Seidenstraße verbindet, sie entkoppelt nicht, wie es China gern vorgeworfen wird. Während gerade Logistiker, auch europäische, ihren Wert schätzen, weil ein gut verzweigtes Schienennetz auf der eurasischen Landbrücke Transportalternativen bietet, zog es das offizielle Europa vor, den Fuß aufs Bremspedal zu drücken, um später dann zu beklagen, kaum ein europäisches Unternehmen sei an den Infrastrukturvorhaben beteiligt.
Das ist ebenso scheinheilig, wie die Behauptung, mit dem „Doppelten Kreislauf“, der dem 14. Fünfjahresprogramm der wirtschaftlichen Entwicklung und der langfristigen Wirtschaftsstrategie bis 2035 zu Grunde liegt, koppele sich China von der Weltwirtschaft ab. Ist nicht das Gegenteil der Fall? Wird nicht versucht, China von der Weltwirtschaft abzukoppeln? Wie anders sind beispielsweise Trumps Verbote zu werten, Chips an chinesische Hersteller zu liefern? Geändert hat sich daran unter dem neuen US-Präsidenten Biden nichts. Auch er will China als Hightech-Wettbewerber die Fesseln anlegen.
Die chinesische Antwort ist da nur logisch: Schneidet ihr uns von den Lieferketten ab, entwickeln und produzieren wir die Chips eben selbst. Auch im Deutsch-Chinesischen Ökopark Qingdao. Denn niemand sollte glauben, dass sich China vom Pfad der Innovation und Hochtechnologie-Entwicklung abbringen lassen werde. Im Gegenteil. Schon zu Beginn des Trumpschen Handelskrieges begrüßten viele im Land die amerikanischen Maßnahmen sogar, zwängen sie doch China zu wahrer Innovation.
Wer heute vor Chinas wachsendem Einfluss als „systemischer Rivale“ warnt und gleichzeitig ein Scheitern der Formel „Wandel durch Handel“ beklagt, sollte sich wenigstens einige Minuten Zeit nehmen und analysieren, was der Kern dieser Formel ist… Einflussnahme. Nichts anderes. Europäischer Hochmut, der meint, die Welt nach eigenem Vorbild verändern zu können.
So offen China seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik für moderne Technologien und westliche Modelle der Wirtschaftsführung war (und ist), so klar ist aber auch der Wille: Die Schmach der ungleichen Verträge, wie sie nach den Opiumkriegen dem Land aufgezwungen wurden, wird sich nicht wiederholen. Das Land geht seinen eigenen Weg und will, anders als es oft kolportiert wird, kein Modell für andere sein. Jedes Land müsse seinen eigenen Weg gehen, seine eigenen Strategien der gesellschaftlichen Entwicklung finden, und gleichzeitig akzeptieren, dass andere Länder anderen Modellen folgen. Nichts anderes sagen Politiker von Deng bis Xi. Der „Sozialismus chinesischer Prägung“ sei für Chinas konkrete Bedingungen und nicht zum „Kopieren“ durch andere Länder konzipiert. Was hindert uns, das zu glauben?
Dieses Statement mögen die europäischen Politiker glauben oder nicht. Erlaubt sei aber die Frage, ob sie an der Überlegenheit der westlichen Demokratie zweifeln. Zumindest wäre dies eine mögliche Interpretation des in jüngster Zeit zunehmenden Warnens vor dem Systemrivalen China. Im Interesse des gemeinsamen Fortschritts wäre es allerdings sinnvoller, die Wirtschaftsbeziehungen wieder zu entpolitisieren und sich dem realen wirtschaftlichen Wettbewerb zu stellen. Das bringt beide Seiten voran. Und notwendig ist es auch. Denn es gibt genug Probleme zu lösen, vor denen wir allesamt gemeinsam stehen.
Peter Tichauer
Peter Tichauer ist ein ausgewiesener China-Experte. Nachdem er mehr als 20 Jahre das Wirtschaftsmagazin ChinaContact aufgebaut und als Chefredakteur geleitet hat, ist er seit 2018 im Deutsch-Chinesischen Ökopark Qingdao (www.sgep-qd.de) für die Kommunikation mit Deutschland verantwortlich.
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